Die Erziehung der Kinder: wann dürfen sie etwas

Kinder, die nichts dürfen, werden Erwachsene, die nichts können

Wie viel Selbstständigkeit Kinder brauchen

Autoritär, anti-autoritär, autoritativ – mit Führerschein wäre die Sache wie beim Auto bestimmt einfacher. Für eine erfolgreiche Kindererziehung gibt es keinen Kurs, kein Studium, keine Ausbildung, mit der man auf jeden Fall alles richtig macht. Eltern probieren, Eltern scheitern, Eltern geben ihr Bestes.

Oft geht es ja auch gut. Meistens entwickeln sich Kinder zu Erwachsenen, die ihren Platz in der Grenzen gebenden Gesellschaft finden und sich trotzdem innerhalb ihres Orbit frei entfalten konnten und können. Leider gibt es auch andere, die denken, sich alles nehmen zu können – ohne Rücksicht auf Verluste. Wieder andere scheitern als Erwachsene, weil sie es nicht gewohnt sind, Entscheidungen zu treffen – sie haben es nie gelernt.

Extreme Erziehungskonzepte – alle brauchbar?

Es sind oft die Facetten der extremen Erziehungskonzepte, die später Schwierigkeiten machen. Viel kritisiert wird beispielsweise das Aufwachsen im Rahmen einer einseitig antiautoritären Erziehung. Ein Leben ohne Grenzen. Ohne Vorgaben, ohne Zwänge. Eine Erziehung ohne ein „Nein“, wonach sich alles nach dem Lustprinzip des Kindes richtet.

Oder mit zu vielen Grenzen, wie sie die autoritäre Erziehung in extremem Maße vorgibt. Streng hierarchisch organisiert, fast schon militärisch per “Diktat” angeordnet und oft in klassischen Rollen- und Familienmustern zu finden. Auch heute in 2021 ist das immer noch ein sich hartnäckig haltendes Erziehungsbild.

Sind denn tatsächlich die goldenen Mittelwege so schwer zu finden? Woran orientieren sich Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder? Und wie viel können sie dadurch vermurksen? Schauen wir uns mal die Extremfälle an.

Kindern Grenzen setzen – und was für welche

Gehorsam, Disziplin, Kontrolle, Tadel – klingt nicht gerade schön, was autoritär erziehende Eltern ihren Kindern abverlangen. Hohe Ansprüche und wenig emotionale Unterstützung runden deren Leben ab. Ihre Welt ist schwarz und weiß. Dass ein autoritärer Erziehungsstil inzwischen nicht mehr zeitgemäß ist, darin sind sich viele Fachleute und die führende Wissenschaft längst einig.

Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort erklärt im Interview mit Business Insider beispielsweise, auf welcher Basis sich Kinder zu sozial kompetenten und glücklichen Erwachsenen entwickeln können: durch Respekt, Ehrlichkeit und Vertrauen der Eltern. Konsequenzen und Sanktionen würden dadurch überflüssig.

Was sich aus den autoritären Elternhäusern entwickeln kann, die in extremem Maß ihren Kindern Grenzen setzen, zeigen Studien. Kinder reagieren häufig mit Rebellion, entwickeln Aggressionen oder haben keinerlei Selbstbewusstsein. Das zieht sich bis ins Erwachsenenalter. Oft gehen hieraus blasse, unscheinbare, eher introvertiert geneigte Personen hervor, denen es schwer fällt, im Laufe ihres Lebens eine ganz eigene Persönlichkeitsentfaltung zu erleben. Sie haben es schlicht nie gelernt.

Kinder ohne Grenzen – kann das gutgehen?

Man kennt es als Laissez-faire oder permissive Erziehung. Mit anderen Worten: Wer diesen Erziehungsweg eingeschlagen hat, verzichtet auf leitende Bahnen und Kontrolle. Das Kind kennt keine Grenzen und darf sich frei seiner Natur entfalten. Bedeutet aber zum Beispiel auch: Hat das Kind morgens auf dem Weg in den Kindergarten keine Lust, aus dem Auto auszusteigen, muss es das nicht. Blöd, wenn Mama oder Papa trotzdem zur Arbeit müssen und eigentlich nicht viel Zeit für ihre Überzeugungsarbeit haben.

Regeln und Grenzen im Kindergarten sind eine der ersten Hürden dieses Erziehungsstils. Die maximale Freiheit für das Kind kann ihm auch als Erwachsener böse aufstoßen. Nicht selten schlagen permissiv erzogene Kinder über die Stränge und erwerben nur wenig bis keine Sozialkompetenz. Wie sollten sie auch gelernt haben, die Befindlichkeiten der anderen als eigene Grenze zu erkennen?

Ohne Regeln zu erziehen, sieht auf den ersten Blick einfach aus, doch nicht selten neigen genau diese Kinder der antiautoritären Erziehung zu purem Egoismus. Weitergedacht führt das ebenso oft dazu, dass Kinder nicht wissen und nie gelernt haben, was Pflichten sind.

Phänomen Helikoptereltern – übertriebene Fürsorge oder völlig natürlich? 

Hier sind wir ganz in der Nähe unseres oft zitierten Spruchs auf dem Beitragsbild angelangt. Werden aus Kindern, die nichts dürfen, Erwachsene, die nichts können? Was der Volksmund heute lapidar als „Helikoptereltern“ abtut, setzt in seiner übertriebenen Form tatsächlich völlig falsche Signale für die kindliche Entwicklung.

Alle Eltern möchten ihre Kinder beschützen. Das ist gut und richtig. Aber wovor schützen wir sie zu viel? Sollte ein Kind stolpern dürfen, damit es lernt, doch besser die Schuhe zuzubinden? Kann der Drittklässler die 500 Meter zur Schule nicht tatsächlich schon alleine gehen? Räumen wir jede Barriere aus dem Weg oder erlauben wir, dass unser Kind auch mal lernt zu scheitern?

Hier verortete schon 1904 der Psychotherapeut Alfred Adler einen enormen Nachteil der verwöhnenden, verhätschelnden Erziehung: Diesen Kindern fehlt das Vertrauen in die eigene Kraft. Es sind Kinder, die nichts dürfen und auch nichts müssen. Weil alles die über-kontrollierenden Eltern übernehmen.

Was fehlt, ist die Erziehung zur Selbstständigkeit. Muss die Gefahr schon aus dem Weg geräumt werden, bevor sie sich zeigt? Oder wäre es für ein Kind nicht wichtiger, selbst Gefahren erkennen zu lernen?

Schluss mit Förderwahn und Verwöhnen. Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut.
Helikopter-Eltern von Josef Kraus erschienen im Rowohlt Verlag.

Mögliche Probleme erwachsener Helikopterkinder

Wer noch nie eine Entscheidung treffen und damit leben musste, gewöhnt sich an diese Rolle. Als Erwachsene sitzen diese Menschen dann im Coaching, um endlich Eigenverantwortung übernehmen zu lernen. Um endlich zu erfahren, was es heißt, eigene Entscheidungen zu treffen, ohne die schützende Hilfe der Eltern. Falls diese Wünsche überhaupt aufkommen. Denn oft verlassen diese Kinder ihr behütetes Nest selbst als Erwachsene nicht. Sie greifen dafür gern zu Vermeidungsstrategien. Lieber keine Entscheidung treffen, als Konsequenzen zu ertragen.

Wie findet sich der goldene Mittelweg?

Kinder brauchen Grenzen, an denen sie sich gut orientieren können. Grenzen geben Halt und eine gewisse Sicherheit. Sich innerhalb dieser Grenzen selbstständig und altersangemessen entfalten zu dürfen, sollte aber jedem Kind vorbehalten sein.

Sie müssen hinfallen dürfen, um wieder aus eigener Kraft aufzustehen. Die Grenzen müssen außerdem eingebettet sein in eine liebevolle Beziehung zu Eltern, die auch zuhören – und im nötigen Maß einschreiten. So können sich Kinder zwischen Entdeckerdrang und Lernerlebnissen zu starken Persönlichkeiten entwickeln, die als Erwachsene mit weniger Schwierigkeiten zu kämpfen haben.  

Die autoritative Erziehung ist eine Mischform, die die Extreme zu vereinen sucht. Autoritative Eltern wollen die Selbstständigkeit bei Kindern fördern – geben ihnen aber den Rahmen vor, in dem das geschehen kann und darf. Sie wenden sich ihren Kindern emotional zu und kommunizieren – insbesondere auch die Ansprüche, die sie an ihre Kinder stellen. Wenn die Kinder dann noch durch Trial and Error erfahren dürfen, dass nicht immer alles glatt läuft, das Leben aber trotzdem weitergeht, ist eine gute Basis für ihre Entwicklung gelegt. 

Was tun, wenn ihr irgendwo abgebogen seid?

Im Wust der Erziehungsratgeber, Elternkritik und Horrorszenarien vergessen wir alle zu schnell: Das Patentrezept hat noch keiner gefunden. Zu viele Faktoren spielen bei der Kindererziehung neben den Eltern eine Rolle. Manchmal sind Eltern so gestresst , dass sie die besten Vorsätze unbemerkt über Bord werfen, wenn sie mit ihren Kindern diskutieren.

Meister sind noch keine vom Himmel gefallen. Aber sich über die eigene Schulter schauen und zu reflektieren, was denn besser laufen könnte, das ist doch immer möglich. Deshalb lassen wir jetzt noch ein Zitat von Jesper Juul auf uns wirken und versuchen alle unser Bestes. Denn im Endeffekt ist Kindererziehung auch nicht mehr als Trial and Error.

Teilt gern eure Erfahrungen mit uns: Wie seid ihr aufgewachsen? Und verhaltet ihr euch gegenüber euren Kindern heute bewusst anders oder ganz genau so? Für welchen Erziehungsstil plädiert ihr aus welchem Grund? 

   

Wir freuen uns sehr, wenn du unseren Beitrag teilst und uns damit unterstützt. Vielen Dank!

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